Schahid Qasem Soleimani: Brief an seine Tochter

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Am 16. Dezember 2020 traf sich Imam Khamenei anlässlich des bevorstehenden ersten Jahrestages vom Martyrium Schahid Qasem Soleimanis mit einigen seiner Familienangehörigen. Im Laufe des Treffens verlas seine Tochter Fatima einen Brief ihres Vaters an sie, den er nur einige Monate vor seinem Martyrium an sie verfasste. Es folgt die deutsche Übersetzung:

Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Begnadenden

Soll das meine letzte Reise sein oder ist mein Schicksal etwas anderes? Was auch immer es sein mag, mit seiner Zufriedenheit bin ich zufrieden. Ich schreibe dir auf dieser Reise, damit es eine Erinnerung für dich sein möge, wenn du mich in deiner Einsamkeit vermisst. Vielleicht findest du darin ein brauchbares Wort, dass dich weiterbringt.

Jedes Mal, wenn ich eine Reise antrete, habe ich das Gefühl, dass ich euch nicht mehr sehen werde. Zuhauf habe ich mir auf dem Weg eure liebevollen Gesichter eines nach dem anderen vor Augen geführt und oftmals Tränen bei eurem Gedenken vergossen. Ich habe euch vermisst und vertraute euch Gott an. Gleichwohl ich weniger die Gelegenheit dazu hatte meine Liebe auszudrücken und euch meine innere Liebe nicht vermitteln konnte, aber, mein Liebling, hast du jemals jemanden gesehen, der in den Spiegel schaut und zu seinen Augen sagt, dass er sie liebt? Es kommt selten vor, dennoch sind seine Augen für ihn am wertvollsten. Ihr seid meine Augen. Ob ich es euch nun sage oder nicht, seid ihr meine Geliebten. Seit mehr als zwanzig Jahren stimme ich euch immerzu sorgenvoll und Gott hat bestimmt, dass dieses Leben nicht endet und ihr fortwährend Alpträume habt.
Meine Tochter, egal wie sehr ich in dieser Welt darüber nachdenke und nachgedacht habe etwas anderes zu tun, um euch weniger Sorgen zu bereiten, habe ich gesehen, dass ich es nicht kann.  Und dies lag und liegt nicht an meinem Interesse am Militarismus. Es lag und liegt auch nicht am Beruf begründet. Es war und ist auch nicht auf den Zwang oder Drang von jemandem zurückzuführen. Nein, meine Tochter, ich bin niemals bereit, euch wegen eines Berufs, einer Verantwortung, dem Drängen oder Zwingen auch nur einen Moment lang in Sorge zu versetzen, geschweige denn euch zu streichen oder zum Weinen zu bringen.

Ich habe gesehen, dass jeder auf dieser Welt einen Weg für sich gewählt hat, einer bildet sich, ein anderer unterrichtet. Einer betreibt Handel, ein anderer Landwirtschaft, und es gibt Millionen von Wegen, oder besser gesagt, es gibt in der Anzahl eines jeden Menschen einen Weg – und jeder hat für sich einen ausgesucht. Ich habe daran gedacht, welchen Weg ich wählen sollte. Ich habe über einige Themen nachgedacht und fragte mich zunächst einmal, wie lang dieser Weg ist und wo er endet: wie lange meine Zeit ist und was im Grunde mein Ziel bildet? Ich führte mir vor Augen, dass ich befristet bin und dass jeder befristet ist. Sie bleiben für ein paar Tage und gehen dann. Einige kommen auf ein paar Jahre, andere zehn, aber nur die wenigsten erreichen 100 Jahre, dennoch gehen alle und sind befristet. Ich dachte bei mir, wenn ich Geschäfte mache, sind einige zum Glänzen gebrachte Münzen, ein paar Häuser und Autos das Endergebnis. Jedoch beeinflussen sie meinen Werdegang auf diesem Wege nicht. Ich dachte mir, dass ich für euch leben könnte, doch sah dann, dass ihr mir sehr wichtig und wertvoll seid, und das in einer Art und Weise, dass jeder Schmerz, der euch trifft, mein ganzes Wesen mit Schmerzen überzieht. Wenn euch ein Problem widerfährt, sehe ich mich inmitten der Feuerglut. Wenn ihr mich eines Tages verlassen solltet, würden die Bestandteile meiner Existenz einstürzen.
Aber ich erkannte, wie ich Herr über diese Ängste und Sorgen werden kann. Ich sah, dass ich mich an jemanden ankoppeln musste, der diese dringende Angelegenheit von mir löst, und dieser ist niemand außer Gott. Dieser Wert und Schatz, den ihr Blumen meiner Existenz seid, kann nicht mit Reichtum und Macht bewahrt werden. Andernfalls müssten die Reichen und Mächtigen ihr Sterben verhindern können, oder ihr Reichtum und ihre Macht müssten unheilbare Krankheiten vermeiden und dafür sorgen können, dass sie nicht ins Krankenbett fallen.
Ich habe mich für Gott und seinen Weg entschieden. Dies ist das erste Mal, dass ich diesen Satz gestehe: ich wollte nie beim Militär sein, ich mochte es nie, ausgezeichnet zu werden. Ich ziehe keinen Titel dem schönen Wort „Qasem“ vor, der aus dem reinen Mund jenes zu einem Märtyrer gewordenen Basidschies und Revolutionswächters kam. Ich wollte und will einfach „Qasem“ ohne Titel und Anrede sein. Deshalb habe ich in meinem Testament verfügt, dass ihr auf mein Grab „Soldat Qasem“ schreibt, nicht einmal „Qasem Soleimani“, was schon zu viel wäre und die Last der Tragetasche nur erschwerte.
Mein Liebling, ich habe Gott gebeten, die ganzen Fasern und Stränge meiner Existenz mit der Liebe zu sich zu erfüllen. Ich habe diesen Weg nicht gewählt, um zu töten. Du weißt, dass ich nicht einmal sehen kann, wie einem Huhn der Kopf abgetrennt wird. Ich habe zur Waffe gegriffen, um mich den Mördern entgegenzustellen und nicht, um zu töten. Ich sehe mich als Soldat im Haus eines jeden Muslims, der der Gefahr ausgesetzt ist und ich möchte, dass Gott mir die Kraft gibt, alle Unterdrückten der Welt verteidigen zu können. (Es ist nicht so), dass ich mein Leben für den geliebten Islam hergebe, da dieser für ihn nicht der Rede wert ist, und auch nicht für die unterdrückte Schia, derer ich nicht genüge, nein nein… ich kämpfe für dieses verängstigte, hilflose Kind, für das es keine Zuflucht gibt, für jene verängstigte Frau, an derer Brust ein Kind klebt und für jenen fliehenden und verfolgten Vertriebenen, der eine Blutspur hinter sich gelassen hat.

Mein Liebling, ich gehöre der Garde an, die nicht schläft und nicht schlafen darf, damit andere in Ruhe schlafen können. Lass meinen Frieden ihrem Frieden geopfert sein und sie schlafen. Meine liebe Tochter, du lebst sicher, in Würde und geehrt in meinem Haus. Was kann ich für dieses hilflose Mädchen tun, der niemand zur Hilfe kommt sowie für jenes weinende Kind, das nichts… nichts hat und alles verlor? Gebt mich also für Gott her und überlasst es ihm. Lasst mich gehen, gehen und gehen. Wie kann ich bleiben, während mein gesamter Zug gegangen ist und ich ihn verpasst habe?

Meine Tochter, ich bin sehr müde. Seit 30 Jahren habe ich nicht geschlafen, aber ich möchte nicht mehr schlafen. Ich streue Salz in meine Augen, damit meine Augenlider es nicht wagen, zusammenzufallen, auf dass das hilflose Kind nicht in meiner Nachlässigkeit enthauptet wird. Was erwartet ihr von mir, wenn ich daran denke, dass jenes verängstigte Mädchen du bist, Narges ist, Zeinab ist, und der im Schlachthaus liegende Jugendliche und junge Mann, der gerade enthauptet wird, mein Hussein und mein Reza ist? Soll ich Beobachter sein, mich nicht darum scheren, ein Geschäftsmann sein? Nein, ich kann so nicht leben.

Der Friede sei mit euch und die Gnade Gottes

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